Themen: Titos Festung und Bosniens Militärindustrie "Der Zusammenbruch der Militärindustrie war für die bosnische Wirtschaft ein Schock, der ohne weiteres mit der Schließung der walisischen Kohleminen oder dem Niedergang traditioneller Industrien in Südbelgien, Nordengland oder den neuen deutschen Bundesländern verglichen werden kann. Doch wurde dieser Zusammenbruch überraschend wenig von bosnischen oder internationalen Politikern beachtet."(The Authoritarian Temptation, European Stability Initiative 2004)
Bosnien war eines der Hauptzentren des militärisch-industriellen Komplexes von Titos Jugoslawien.
11 der 37 großen integrierten militärischen Produktionsstätten Jugoslawiens befanden sich in Bosnien und Herzegowina. Die Expertenkommission der Vereinten Nationen berichtete:
"Nach Jugoslawiens Ausschluss aus der Kominform im Jahr 1948 und dem scharfen Anstieg der Spannungen mit dem Sowjetblock, nahm Bosnien eine zentrale Rolle in Titos Selbstverteidigungsstrategie an. In Furcht vor einem gleichzeitigen Angriff von Norden (Ungarn) und Osten (Bulgarien), und unter Rückgriff auf die Erfahrungen der Partisanenkriegsführung während des Zweiten Weltkrieges verwandelte Tito das abgelegene Zentralbosnien mit seinen zerklüfteten Bergen, tiefen Wäldern und natürlichen Höhlen in Jugoslawiens Festung und das Zentrum seiner Militärindustrie."
(M. Cherif Bassiouni, UN Commission of Experts, 28. Dezember 1994)
Die Militärindustrie war die treibende Kraft hinter Bosniens Industrialisierung.
Im Jahr 1982 belief sich der Anteil der bosnischen Fabriken am Export auf
US$ 355 Millionen und damit auf ein Fünftel aller jugoslawischen Exporte.
1981 beschäftigte die
Militärindustrie in Bosnien 23.310 Arbeiter – gemessen an der Bevölkerungszahl annähernd fünfmal so viele wie in Serbien. In diesem Jahr lieferte die bosnische Militärindustrie Güter, Ausrüstung und Dienste im Wert von
$156 Millionen an die Jugoslawische Volksarmee (JVA).
Die militärischen Produktionsstätten konzentrierten sich in einem Dreieck zwischen Mostar, Sarajevo und Zenica. Außerhalb dieses Dreiecks lagen nur zwei Fabriken in Gorazde und Banja Luka.
Am höchsten war die Konzentration in Zentralbosnien von Bugojno bis nach Vitez.
Die Schießpulverfabrik in Vitez beschäftigte 780 Arbeiter, ungefähr ein Viertel aller industriellen Arbeitskräfte.
1450 Arbeiter – ein vergleichbarer Anteil der örtlichen Arbeiterschaft – war in der
Bratstvo-Fabrik in Novi Travnik beschäftigt.
3.450 Arbeiter – fast 40 Prozent der Industriearbeiterschaft von
Bugojno – arbeiteten in der
Granaten- und Kanonenfabrik Slavko Rodic.Darüber hinaus war Bosnien mit seinem gebirgigen Terrain ein natürliches Waffendepot, das von regulären JVA-Truppen bewacht wurde.
Gut 80.000 Soldaten der ehemaligen JVA waren in Bosnien stationiert,
von denen circa 35.000 eine effektive Kampftruppe bildeten. Viele dieser Soldaten versahen sowohl militärische als auch zivile Aufgaben, wenn sie nicht militärisch eingesetzt wurden.
Die Versorgung dieser Armeeeinheiten wurde über eine Reihe von Kooperativen und Lebensmittelproduzenten gewährleistet. Darüber hinaus produzierten Bekleidungsfirmen Uniformen und andere Textilgüter.
Die Fähigkeit Bosnien und Herzegowinas, Waffen von der Kugel bis zur Kanone, von Schießpulver bis zu Hubschraubern zu produzieren, war einer der Gründe für die heftigen Kämpfe während des Krieges.
Die Armee der Republika Srpska verfügte über schwere Artillerie der ehemaligen JVA und die bosnisch-kroatische HVO über Nachschublinien aus Kroatien. Nur die bosnische Armee litt unter dem Waffenembargo der Vereinten Nationen. Für sie war der Zugriff auf die Waffenfabriken Zentralbosniens entscheidend und ihre Gegner waren entschlossen, ihr dies zu verwehren.
Nur wenige der militärisch-industriellen Anlagen, die einst das Rückgrat der bosnischen Wirtschaft bildeten, überlebten den Krieg. Für die Stadt Novi Travnik bedeutet dies einen langsamen Tod. Die alte Fabrik in Vitez ist nurmehr eine Ruine.
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